„Cantabile“ erfindet sich neu!

Der „Kammerchor Cantabile Gerlingen“ überrascht sein Publikum mit einer musikalischen Wundertüte aus Bossa Nova, Beat und Jazz – und erntet viel Applaus.

„Spring, spring, spring…“ erklingt ein fröhlicher Kanon am Sonntag in der Matthäus-Kirche Gerlingen – eine Hymne an den Wonnemonat Mai mit der Lizenz zum Ohrwurm, mit dem der „Kammerchor Cantabile Gerlingen“ gut gelaunt in Gruppen einzieht.

Auf dem Programm des Konzerts unter Leitung von Jan Muckenfuß stehen Bossa Nova, Jazz – und legendäre Songs der Beatles.

Chorleiter Jan Muckenfuß, Musikpädagoge am renommierten Ebelu Stuttgart und Interims-Dirigent (der bisherige Chorleiter Matthias Nassauer stemmt gerade mehrere Großprojekte) weist in seiner Begrüßung auf eine überraschende Parallele hin: Just im selben Jahr 1964, als die Pilzköpfe die US-Charts „übernommen“ haben, die Beatles in das Wachsfiguren-Kabinett der Madame Tussaud einzogen und die Beatlemania auf ihrem Höhepunkt war, erfolgte die Grundsteinlegung zur Matthäus-Kirche mit ihrem freistehenden Campanile und dem streng geometrischen Hahn obendrauf.

Der „Kammerchor Cantabile Gerlingen“, bisher renommiert für seine gelungenen Mess-Vertonungen und geistlichen Lieder, wagt sich auf neues Terrain. Während bisher nur kleine Ausflüge in Pop und Jazz gemacht wurden, stehen nun ausschließlich Arrangements von Gershwin bis zu den Beatles auf dem Programm.

Jan Muckenfuß kündigt geheimnisvoll an, dass man noch gar nicht so genau wisse, was das Publikum zu hören bekomme. Angesichts der verblüfften Gesichter beeilt er sich zu sagen, geprobt habe man schon – aber das Konzert werde im Modus „attacca“ („verbinde“) gespielt, bei dem die einzelnen Stücke durch Improvisationen elegant miteinander verbunden sind.

Diese musikalische Wundertüte beschert das Oskar-Rimmele-Trio mit Oskar Rimmele (Klavier), Nils Becker (Bass), Ilja Tarnopolskij (Schlagzeug), die groovy Rhythmen in der Matthäus-Kirche entfesseln. Dazu Solo-Trompeter Salvatore Galloro, der aus der Ebelu-Jazzband kommt und in mehreren Landesjugendorchestern spielt. Oskar Rimmele am Klavier hat bei seinem Spiel vorher nur eine grobe Vorstellung, spielt dann aber frei improvisierend und mitreißend.

Chormitglied Andreas Käde informiert in seiner Moderation informativ und unterhaltsam über den Hintergrund der einzelnen Stücke.

Und dann geht’s los mit „When I’m Sixty-Four“ (P. McCartney), bei dem die Füße des Publikums mitwippen.

„Blackbird“ (P. McCartney) bezieht sich auf die Rassenkonflikte der 60er Jahre in den USA und thematisiert den Aufbruch einer jungen Schwarzen, die zu Freiheit und Selbstbestimmung finden soll: „Blackbird, fly!“

„Can’t buy me Love“ hat Paul McCartney gewissermaßen „unterwegs“ komponiert: auf dem Konzertflügel des Luxushotels George V in Paris (Beatles sind immer im Dienst!). „Cantabile“ präsentiert das Stück in der Bearbeitung der „King’s Singers“ a cappella – und auswendig!

Im Publikum sitzen nicht wenige Beatles-Fans der ersten Stunde, die in den Liedern den Soundtrack ihrer Jugend wiedererkennen. Manche bewegen die Lippen mit – und können vielleicht den Text besser als der Chor… Beim Stehempfang im Anschluss erzählen einige, dass sie sogar Live-Konzerte der Beatles miterlebt haben – ein unvergessliches Erlebnis!

„Black Orpheus“ (Luiz Bonfá) nimmt Orpheus als Symbol der Bürgerrechtsbewegung der Schwarzen in den USA. Der Chor präsentiert es melancholisch, aber mit einer sanften Harmonie.

Der Bossa Nova „Quiet nights of quiet stars“ (Antonio Carlos Jobim) verlangt eine „lean-back“-Attitüde, wie sie Frank Sinatra unnachahmlich drauf hatte mit seiner verrauchten Stimme, und der Chor prägt dem Stück auch diese Lässigkeit auf.

„Cantabile “ hat sich in diesem Konzert neu erfunden und seine Vielseitigkeit unter Beweis gestellt. Schnell haben sich die Chormitglieder mit dem neuen Interims-Dirigenten in andere Stile, Genres und Rhythmen hineingefunden und gezeigt, dass sie strahlende Freude („Here comes the sun“), melancholische Stimmung samt Vogelgezwitscher („Blackbird „) und fetzige Rhythmen draufhaben und auch anspruchsvolle Dynamik bewältigen. „Cantabile “ hat wieder einmal seine musikalische Kompetenz bei a-cappella-Gesang, wie auch mit Begleitung durch Vokal- oder Instrumentalsolisten, Bands oder Orchestern unter Beweis gestellt.

Das Finale bildet „What a wonderful World“, das mit Louis Armstrong („Satchmo“) berühmt geworden ist. Eine Aussage, die man ernsthaft nur noch aus 400 km Entfernung beim Blick aus dem Küchenfenster der ISS formulieren kann.

Aber Andreas Käde rät, angesichts einer Welt in Aufruhr, sich an kleinen Dingen zu freuen.

Mit dem witzigen „Liza“ wird noch eine Zugabe gewährt, bis am anschließenden Stehempfang Erinnerungen an die Sixties ausgetauscht werden, einer Zeit, von deren Elan, Aufbruchsstimmung und Friedensimpulsen wir heute weit entfernt sind.

Ein Hauch von Beatlemania war in der Kirche zu spüren – Revival erwünscht! Yeah, yeah, yeah!

Doris Caumanns, Musikrezensentin und langjähriges Chormitglied